From the world’s press
|
![]() Berlin, Mittwoch, 29. März 2000 «Lustigers Stoßrichtung ist falsch»
Der Historiker Wolfgang Benz weist den Vorwurf zurück, die Holocaust-Forschung diffamiere die jüdischen Opfer
HERR Prof. Benz, hat Arno Lustiger Recht mit seinem Vorwurf? Wolfgang Benz: Hier geht es einerseits um Politik und um jüdisches Selbstverständnis, andererseits um die Holocaust-Forschung. Deshalb ist der Frontverlauf kompliziert. Natürlich hat Arno Lustiger nicht Recht mit dem Vorwurf, die Wissenschaft beachte den Widerstand von Juden gegen die Vernichtung nicht. Was sollte zum Beispiel der renommierte US-Holocaust-Experte Raul Hilberg für ein Interesse haben, Dokumente über den jüdischen Widerstand zu unterdrücken, wenn er in den Archiven welche gefunden hätte? Nein, Arno Lustigers Stoßrichtung ist ganz falsch. Denn er unterstellt, die Forschung würde bei der Darstellung des Holocausts im Interesse bestimmter Sichtweisen arbeiten, also verfälschen. Das ist aber nicht der Fall.
Wolfgang Benz: Auf der emotionalen Ebene. Es gibt auf Seiten der Überlebenden und der Angehörigen der Opfer ein nachvollziehbares Interesse, nicht demütig zur Schlachtbank gegangen zu sein. Wir sehen das ganz deutlich bei der «Enzyklopädie des Holocausts», einem Sammelwerk aus Israel. Hier werden viele jüdische Widerstandskämpfer groß herausgestellt, über die die Wissenschaft sonst wenig weiß. Wenn man aber diese vielleicht 100 Menschen mit den sechs Millionen Opfern des Rassenwahns vergleicht, sieht man das tatsächliche Verhältnis.
Wolfgang Benz: Viele Möglichkeiten zum Widerstand hatten die Juden nicht. Die Täuschung war perfekt. Vor der Deportation wurde ihnen gesagt, sie sollten Handwerkszeug mitnehmen, weil sie im Osten neue Häuser bauen würden. Wie hätten sich diese Menschen wehren sollen? Sie lebten in einer ihnen gegenüber total feindlichen Umgebung, bekamen kaum wahre Informationen und hatten ja immer noch Hoffnung zu überleben.
Wolfgang Benz: Es ist eine der ärgsten Gemeinheiten der Täter, dass den Opfern zugemutet wurde, an ihrer eigenen Vernichtung mitzuwirken. Sie waren doppelt ohnmächtig und mussten stellvertretend für die wahren Peiniger ihre Leidensgenossen unterdrücken. Niemand hat meiner Ansicht nach das Recht, die Judenältesten in den Ghettos als Handlanger zu bezeichnen. Sie sind zusammen mit dem jüdischen Ordnungsdienst die wirklich tragischen Gestalten des 20. Jahrhunderts. Ich habe viel Verständnis für ihr Handeln. Denn viele von ihnen glaubten, sie hätten bessere Chancen, möglichst vielen Menschen das Überleben zu ermöglichen, wenn sie den Anweisungen der SS gehorchten. Was mit jenen geschah, die aufbegehrten, konnten sie in den Ghettos und den KZ’s täglich sehen.
Wolfgang Benz: Für die Holocaust-Forschung ist Lustigers Angriff sicher nicht kontraproduktiv, denn sie kümmert sich ja «nur» um den Zuwachs an Erkenntnis und Wissen. Etwas ganz anderes gilt für die öffentliche Wahrnehmung. Es ist einfach, aber wirkungsvoll, auf die Historiker einzuprügeln. Manche in der Öffentlichkeit könnten sich bestätigt fühlen, wenn sie die Geschehnisse des Holocausts insgesamt in Zweifel ziehen. Wenn man wie Lustiger öffentlich Emotionen gegen nüchterne Wissenschaft in Stellung bringt, kann das Wirkungen haben, die nicht beabsichtigt sind.
|
Berlin, Mittwoch, 29. März 2000 |
|
![]() |
|Return to Clippings Index | ©Focal Point 2000
write to David Irving